- Pariser Verträge: Gründung der westeuropäischen Union
- Pariser Verträge: Gründung der westeuropäischen UnionVom 25. Januar bis zum 18. Februar 1954 fand in Berlin eine Außenministerkonferenz der vier Siegermächte statt, das erste Viermächtetreffen seit dem Tode Stalins. Die hohen Erwartungen, die die Öffentlichkeit in die Verhandlungen gesetzt hatte, wurden jedoch enttäuscht: Weder in der Deutschlandfrage noch bei den Verhandlungen über den österreichischen Staatsvertrag gab es irgendwelche Fortschritte. Die neue Sowjetregierung setzte ihre Versuche fort, mit Angeboten von Friedensverhandlungen mit Gesamtdeutschland die Integration der Bundesrepublik Deutschland in ein westeuropäisches Bündnis zu unterlaufen. Sie lehnte jedoch die Gegenforderung der Westmächte ab, dass vor Beginn dieser Verhandlungen freie Wahlen in ganz Deutschland stattfinden müssten, wie es etwa der Plan des britischen Außenministers Eden vorsah.Die Ablehnung des EVG-Vertrages durch die französische Nationalversammlung am 30. August 1954 versetzte der Idee eines auch militärisch »Vereinten Europas«, wie sie etwa der Franzose Robert Schuman, der Italiener Alcide De Gasperi, der Belgier Paul Henri Spaak und Konrad Adenauer verfolgten, einen empfindlichen Rückschlag. Der brisante Ost-West-Gegensatz veranlasste die Teilnehmer einer Neunmächtekonferenz in London vom 28. September bis zum 3. Oktober 1954 - auf ihr waren neben den westeuropäischen Staaten die USA und Kanada vertreten -, eine andere Bündnislösung zu finden, um den deutschen Wehrbeitrag zu gewährleisten.Auf der Folgekonferenz, die vom 9. bis 23. Oktober 1954 in Paris stattfand, wurden entsprechend den Empfehlungen der Londoner Schlussakte mehrere Abkommen unterzeichnet, die die internationale Stellung der Bundesrepublik Deutschland neu definierten, die Pariser Verträge. Der am 26. Mai 1952 zwischen den Westmächten und der Bun desrepublik Deutschland abgeschlossene Deutschlandvertrag wurde in einer revidierten Fassung jetzt verabschiedet und damit das Besatzungsregime für beendet erklärt. Der »Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland« sicherte allerdings das Stationierungsrecht der Westmächte. Der 1948 von Großbritannien, Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg geschlossene Brüsseler Pakt wurde durch den Beitritt Italiens und der Bundesrepublik Deutschland zur Westeuropäischen Union (WEU) erweitert.Die französischen Vorbehalte gegen eine Wiederbewaffnung Deutschlands konnten durch dessen feste Einbindung in das westliche Verteidigungssystem überwunden werden. Das Land, gegen das sich der Brüsseler Pakt ursprünglich gerichtet hatte, wurde nun selbst Vertragspartner. Der Eintritt der Bundesrepublik in die WEU war die Voraussetzung für den Beitritt zur NATO, weil sie sich bestimmten Rüstungsbeschränkungen unterwarf und auf die Herstellung von atomaren, biologischen und chemischen Waffen verzichtete. Die Hauptaufgabe der WEU sollte es sein, »die Einheit Europas zu fördern und seine fortschreitende Integration zu unterstützen«.Bilateral wurde zwischen Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland ein Abkommen über das Saarstatut ausgehandelt. Die von Frankreich beabsichtigte Europäisierung des Saarlandes im Rahmen der WEU kam jedoch nicht zustande, da sich in einer Volksabstimmung am 23. Oktober 1955 die Saarbevölkerung mit 67,7 % gegen das Statut und für die Eingliederung in die Bundesrepublik Deutschland entschied.Die Pariser Verträge waren in der Bundesrepublik innenpolitisch heftig umstritten; die SPD-Opposition, aber auch große Teile der Öffentlichkeit sahen durch die forcierte Westintegration und den eigenen Verteidigungsbeitrag die Chancen auf eine Wiedervereinigung entscheidend schwinden. Am 5. Mai 1955 traten die Pariser Verträge in Kraft, nachdem alle Ratifikationsurkunden hinterlegt worden waren. Der Westteil des ehemaligen Deutschen Reiches hatte seine völkerrechtliche Souveränität wiedererlangt.
Universal-Lexikon. 2012.